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KEN YAMAMOTO


25. Juni 2014

Literatur und Internet

Lesezeit: 4 Minuten, 19 Sekunden


So war das sicher nicht gedacht mit dem Internet und der Literatur! Cyberpoesie, Ebooks, kurzlebige Hypes, Plagiatsvorwürfe und Crowdfunding?!? Oder etwa doch?

Ende der 90er wurden noch hitzig Begriffe wie etwa Hyperfiction oder Digitale Poesie verhandelt. Eine Flutwelle von neuen Begriffen schwappte über die Ufer des Internets in die Diskurse hinüber, die an Universitäten, in Literaturwerkstätten und auch online geführt wurden: Hypertextliteratur, Electronic Poetry, New Media Poetry, Cyberpoetry…

Mittlerweile ist der Sturm abgeklungen. Das Internet ist omnipräsent und eine Selbstverständlichkeit. Eine Generation, die nie eine Welt ohne www kannte, schreibt munter Fan-Fiction und kümmert sich nicht weiter um die verschwurbelten Theorien und Zukunftsvisionen der Literatur. Und das ist auch gut so.

Fanfiction is what literature might look like if it were reinvented from scratch after a nuclear apocalypse by a band of brilliant pop-culture junkies trapped in a sealed bunker.
- Lev Grossmann

Beinahe hat man den Eindruck, dass letztlich alles auf eine rein pragmatische Ebene heruntergebrochen wurde. Es ist wieder Alltag eingekehrt und Alltag bedeutet: Business as usual. Steigende Verkaufszahlen für Ebook-Reader und Ebooks sprechen für sich. Überhaupt hat sich das Internet als virtuelle Shoppingmall auch für die Literatur ganz gut bewährt – wenn man davon absieht, dass ein paar wenige Versandriesen zahllose kleine Buchhandlungen gekillt haben. Wirtschaftlich würde man hierbei vielleicht ganz sachlich von 'Verschnitt' sprechen.

Natürlich sind die Diskurse über Netzliteratur nicht beendet und es gibt genug kluge Köpfe, die sich weiterhin sowohl auf Produzenten- wie auch auf Rezipientenseite eingehend damit beschäftigen. Für die meisten Bewohner der Literaturwelt jedoch hat sich nicht viel geändert. Die einen schreiben und die anderen lesen. Was sich jedoch geändert hat ist die Art und Weise, wie Literatur in unser Blickfeld gerückt wird. Die digitalen Einwohner und ihre Internetpräsenz werden immer häufiger zu Dominosteinchen im Spiel um Onlinepräsenz, wie zuletzt der Wirbel um die Slam Poetin Julia Engelmann gezeigt hat. Immer wieder wurde der Hype um ihr Video auf die Tatsache zurückgeführt, dass der Blogger Kai Thrun dieses in seiner Rubrik Fundstücke wie auch auf seinem Facebookprofil gepostet hatte. Mittlerweile bringt es besagtes Video bei Youtube auf rund 6.5 Millionen Klicks.

Das Internet jedenfalls, wird schnell mal zu einem Piranhabecken. Seine Einwohner sind oft zu Tode gelangweilt und haben zu allem eine Meinung. Und auch die Feuilletonisten verbringen kaffeschlürfend und auf der Suche nach Futter für ihre Artikel viel Zeit in diesem luftleeren Raum, so dass sich mancher Hype zuletzt in einer Welle der Empörung bricht. Die unterhaltsamste Form solcher Massenempörung findet sich nicht selten in Youtube-Kommentaren versteckt.

Von Anfang an dachte ich mir was das für ne blöde Fotze ist. Die soll mal abhauen wer hat die Olle verarscht?
- Youtubeuser Georgios Polichronidis

Dass du von anfang an etwas dachtest, ist enorm! Das hätte dir keiner zugetraut!
- Youtubeuser Hobebude

Was im Internet passiert ist zwar weitestgehend nachvollziehbar – es vergisst ja nicht so schnell – jedoch muss man zuerst einmal wissen, wonach man überhaupt sucht. Googles CEO Eric Schmidt schätzt die aktuell im Internet vorhandene Datenmenge auf etwa fünf Millionen Terabyte (= 5 Trillionen Megabyte). Zudem merkt er an, dass Google in den letzten sieben Jahren Arbeit kaum mehr als 0,004% dieser Daten erfasst hat. Und so kommt es schon mal vor, dass sich der eine oder andere Schriftsteller freizügig aus diesem riesigen Informationsfluss bedient und dabei ganz die Benimmregeln vergisst, auch wenn diese im Urheberrecht verankert sind. Aber wer kennt das denn schon so genau?

Ich selbst empfinde es nicht als geklaut, weil ich das ganze Material in einem völlig anderen und eigenen Kontext eingebaut habe.
- Helene Hegemann

Denken wir z.B. zurück an die junge Autorin Helene Hegemann. In ihrem Bestseller 'Axolotl Roadkill' übernahm sie, so heißt es, ganze Teile aus dem Roman Strobo des Berliner Autoren Airen. Und irgendwie war mir ihr o.g. Statement zu dem entstandenen Skandal sogar sympathisch. Noch sympathischer waren mir allerdings die Reaktionen Airens und seines Verlages, die in der Angelegenheit eine außergerichtliche Einigung mit Hegemanns Verlag Ullstein fanden.

Vergessen wir nicht: das Internet kennt auch Gutes. Zum Beispiel Crowdfunding. Genau dieses spielte kürzlich in einem Rechtsstreit des Knaur Verlages mit dem Leipziger Verlag Voland&Quist eine entscheidende Rolle. Knaur hatte gegen letzteren geklagt, weil dort das jüngste Buch des geschätzten Kollegen Julius Fischer unter dem Titel 'Die schönsten Wanderwege der Wanderhure' erschienen war. Der Verlag sah irrsinnigerweise, trotz augenscheinlicher Satire, seinen Titelschutz an der Wanderhuren-Roman-Reihe des Autorenpärchens Iny Lorentz verletzt. Mit einer Crowdfundingkampagne sammelten Voland&Quist zuletzt rund 15.000€, um gegen das Urteil in Revision zu gehen. Und wie diese Geschichte ausgeht, werden euch gelangweilte Feuilletonisten ausführlichst erörtern… demnächst in den Onlineversionen ihrer Zeitungen.


URL: http://www.kenyamamoto.de/notizbuch/literatur-und-internet
Tags: #Notiz


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